Vor 100 Jahren: In Bielefeld entsteht Geld auf Samt und Seide

Vor 100 Jahren: In Bielefeld entsteht Geld auf Samt und Seide

Vor genau 100 Jahren – am 15. Juli 1921 – erschienen die ersten Scheine des berühmten Bielefelder Stoffgeldes. Erfahren Sie mehr über dieses außergewöhnliche Kapitel der deutschen Geldgeschichte.

Mitte Juli 1921 feierte die Stadt Bielefeld ihren 700sten Geburtstag. Obwohl damals schon bekannt war, dass die Bielefelder Stadtgründung bereits im Jahr 1214 erfolgte, wollten die Verantwortlichen offenbar nach Weltkrieg und Revolution und schweren Jahren den Bielefelderinnen und Bielefeldern einen Anlass zum Feiern geben. Und so wurde ein vielfältiges Jubiläumsprogramm auf die Beine gestellt. Unter anderem fand ein Festumzug mit Festwagen statt, viele von ihnen zeigten Bezüge zur Stadtgeschichte. 

Mit dabei war auch die Bielefelder Stadt-Sparkasse mit einem eigenen Festwagen. „Schon in die Wiege gehören Sparbuch und Heimsparbüchse“ warb sie auf dem von Pferden gezogenen Wagen.

Festwagen der Stadt-Sparkasse Bielefeld zum Festumzug anlässlich des 700-jährigen Stadtjubiläums im Juli 1921.

Ideengeber für diesen Festwagen war Sparkassendirektor Paul Hanke, der seit 1911 die älteste Sparkasse Westfalens leitete. Mit ihm hatten Themen wie „Werbung und Öffentlichkeitsarbeit“ in der Sparkasse Einzug gehalten und besonders in der Kriegs- und Nachkriegszeit sorgte sein unermüdlicher Werbeeifer dafür, dass die bis dahin kleine Stadt-Sparkasse erheblich gewachsen war.

Paul Hanke ist auch der Vater des „Bielefelder Notgelds“. Vor allem gegen Kriegsende hatten sich immer stärkere inflationäre Tendenzen gezeigt, erste Anzeichen dafür, dass die deutsche Währung durch den Krieg, der in erster Linie durch eine geheime Verschuldung finanziert wurde, zerrüttet war. In dieser Situation griffen immer mehr Städte und Gemeinden zur Selbsthilfe und gaben eigenes Geld heraus, sogenanntes Notgeld. Sie wollten damit den lokalen Zahlungsverkehr aufrechterhalten. Auch Bielefeld zählte zu diesen Städten. Hier erschien das erste Notgeld 1917. Waren es zunächst Münzen, so wurden bald nur noch Scheine produziert, weil diese deutlich günstiger und schneller herzustellen waren. Vorreiter für diese Entwicklung war Sparkassendirektor Hanke. Ihm wurde die Federführung bei dem Thema übertragen und er fand damit sein Lebensthema: Die Gestaltung und Herausgabe immer neuer Notgeldausgaben.

Im Juli 1917 erschienen die ersten Bielefelder Stadtgeld-Münzen: 5-, 10- und 50-Pfennige waren sie wert.

Mit dem Kriegsende 1918 und der Bewältigung der unmittelbaren Nachkriegsfolgen erreichte diese Entwicklung einen ersten Höhepunkt. In der Stadt-Sparkasse und den heimischen Druckereien, vor allem der Firma Gundlach, begannen die Notenpressen zu rotieren. Bald war es für die Bielefelderinnen und Bielefelder selbstverständlich, von Paul Hanke und Bielefelder Künstlern gestaltete Notgeldscheine in Händen zu halten und damit auch zu bezahlen. Auch wenn vielen Bürgern das damals noch nicht klar war – das Bielefelder Notgeld war ein sichtbares Zeichen für die immer weiter um sich greifende Inflation. 

Gleichzeitig begann Paul Hanke (wie viele Verantwortliche in anderen Städten auch) im Notgeld auch eine Einnahmequelle zu sehen. Intensiv warb er für die von der Stadt-Sparkasse herausgegebenen Scheine. Sammler sollten angesprochen werden, diese Geldscheine zu erwerben und natürlich nicht wieder einzutauschen. Damit ergab sich ein Gewinn für die Stadt. Die Scheine wurden daher immer aufwändiger gestaltet, um neue Sammler auch über Bielefeld hinaus anzusprechen. In Bielefeld und anderen Orten wurden immer häufiger Geldscheine herausgegeben, die sich ausschließlich an Sammler richteten.

In Bielefeld entstand vor 100 Jahre Geld auf Samt und Seide.

Mit dem 25-Mark-Schein fing am 15. Juli 1921 die Geschichte des Bielefelder Stoffgeldes an.

Vor diesem Hintergrund entwickelte Paul Hanke zum 700-jährigen Stadtjubiläum nun eine neue Idee. Er ließ Geldscheine auf Stoff, zunächst vor allem auf Seide, später auch auf Samt, Jute oder Leinen produzieren. Mit dieser Idee wollte er an die Tradition Bielefelds als alte Textilstadt anknüpfen. Vor allem aber wollte er natürlich mit diesen ungewöhnlichen Scheinen neue Sammlerkreise für das Bielefelder Geld begeistern. Und das gelang auch. Nachdem am 15. Juli 1921 die ersten 25-Mark-Stoffscheine erschienen waren, verzeichnete die Sparkasse eine hohe Nachfrage danach, selbst aus dem Ausland kamen Anfragen. Als echtes Zahlungsmittel waren die Scheine nicht gedacht, auch wenn sie immer wieder im Handel auftauchten und dort für Verwirrung und Ärger sorgten. Dabei kümmerte es Hanke nicht, dass das „Befördern der Sammelleidenschaft“ eigentlich von den Behörden streng verboten worden war. Prompt folgten auch Ermittlungen gegen die Stadt Bielefeld wegen der Herausgabe des Stoffgeldes. Doch verliefen diese 1922 im Sande. Denn während man 1921 fast der Meinung sein konnte, dass in Sachen Inflation das Schlimmste überstanden sei, so zog die Inflation Ende 1921 wieder an und entwickelte sich 1922/23 zur Hyperinflation. In dieser Zeit hatte man andere Sorgen als ein Verfahren wegen Stoffscheinen.

Bielefelder Notgeld: Geld auf Samt und Seide.

Mit Anzeigen, Plakaten und vielen anderen Medien warb Paul Hanke erfolgreich für seine Bielefelder Stoffscheine.

Für Hanke war diese Entwicklung trotzdem eine Art Freifahrtschein. Bis 1924 brachte er immer neue Varianten von Papier- und Stoffscheinen in Verkehr. Dabei stiegen die Zahlen, die auf den Scheinen aufgedruckt waren, in immer wahnwitzigere Höhen. Aus Tausendern wurden Millionen, dann Milliarden, schließlich Billionen. Die Bielefelder Banknote mit dem höchsten Nennwert war ein 10-Billionen-Markschein aus dem November 1923. Und dennoch konnte man damit kaum etwas kaufen. Und auch Sammlerausgaben auf Stoff produzierte Hanke ununterbrochen. In immer neuen Varianten erschienen bis 1924 Stoffgeldausgaben der Stadt-Sparkasse Bielefeld. Teils wurden sie von Frauen in Heimarbeit mit aufwändigen Borten versehen. Niemand kann heute mit Sicherheit sagen, wieviele Stoff- und Papiergeldscheine in Bielefeld bis 1924 herausgegeben wurden, da Hanke zwar ein äußerst kreativer Mensch war, aber wenig von ordentlicher Buchführung hielt. 

Bielefelder Notgeld: Geld auf Samt und Seide.

Druck des Bielefelder Notgelds bei der Firma Gundlach, von der ein großer Teil der Bielefelder Stoff- und Papiergeldscheine produziert wurde.

Als die Hyperinflation mit einer drakonischen Währungsreform im November 1923 zu Stillstand gebracht wurde, blieb von den verrückten Nennwerten auf den Scheinen kaum noch etwas übrig. Aus einer Billion alter Mark wurde eine sogenannte Rentenmark. Ein Großteil der deutschen Sparvermögen war vernichtet. Und auch Paul Hankes Stern sank. 1925 wurde er in den Ruhestand versetzt, als klar war, dass seine Sparkasse in erhebliche Schwierigkeiten geraten war und er nicht der Richtige war, um sie zu reformieren. Von wenigen Experten abgesehen, kennen heute nur noch wenige Bielefelder seinen Namen.

Aber sein Notgeld, vor allem die Bielefelder Stoffscheine, die heute vor 100 Jahren erstmals erschienen, sind nach wir vor ein Zeugnis einer ganz besonderen Zeit in unserer Stadt und erfreuen sich bis heute unter Sammlern einer großen Beliebtheit.

Bielefelder Stoffgeld: Geld auf Samt und Seide.

Das Stoffgeld erschien in zahllosen Varianten, die sich oft nur durch Form und Farbe der Borten unterschieden.

 

Lesen Sie auch den spannenden Artikel zum 700-jährigen Stadtjubiläum im Historischen Rückklick Bielefeld von Dr. Jochen Rath, dem Leiter des Bielefelder Stadtarchivs und der Landesgeschichtlichen Bibliothek.

 

 

Fotos: Historisches Archiv der Sparkasse Bielefeld; Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld