Gründung: Pâtisserie auf drei Rädern

Donnerstagnachmittag, Klosterplatz in Bielefeld. Bei gutem Wetter ist der Abendmarkt ein Sammelbecken für Genuss und Genießer. Wer bei Lea Nüsgen am Verkaufswagen landet, ist erst einmal beeindruckt von ihrer Piaggio Ape Classic 400. Das auffällige dreirädrige Gefährt ist ganz nach ihren Vorstellungen vom Pritschenwagen zum rollenden Verkaufsstand umgebaut worden, mit ausreichend Lade- und Verkaufsfläche, mit Kühlschrank und Waschbecken.

 

Die Besitzerin ist für diesen Umbau bis an den Bodensee gereist. Ihre Pläne und Vorstellungen waren bis ins letzte Detail definiert. Das ist typisch für die 32-jährige Unternehmensgründerin, die nichts dem Zufall überlässt, gleichwohl gelernt hat, ihrer Intuition zu vertrauen. Im März 2018 ist sie mit „TARTES und TÖRTCHEN Lea Nüsgen“ an den Start gegangen. Mittlerweile finden ihre Stammkunden sie donnerstags auf dem Abendmarkt, am Dienstag auf dem Altstadtmarkt an der Nikolaikirche, am Samstag in Schildesche. Ein Stand auf dem Siegfriedmarkt am Freitag ist ebenfalls genehmigt. Rund zwei Drittel ihres Umsatzes will die Jungunternehmerin mit ihrer mobilen Konditorei künftig auf Wochenmärkten realisieren. Catering, Sonderveranstaltungen und der Direktverkauf über ihre Website sind ebenfalls gut angelaufen.

Alles muss passen: Zehn Jahre lang feilte Lea Nüsgen an dem Konzept

Die Konditormeisterin und Dessertköchin hat sich ihren Start in die Selbstständigkeit nicht leicht gemacht. Zwar wusste sie immer schon, dass sie sich selbstständig machen wollte. Da sie aber eine Meisterin der detaillierten Planung ist, hat es rund zehn Jahre gedauert, bis das Konzept stand und alle Rahmenbedingungen für sie einschätzbar waren.

Geboren ist die Frau des süßen Genusses in Rinteln. Aufgewachsen in Hameln, Grundschule, Gymnasium. Schon als kleines Mädchen hat sie gerne gebacken, „sobald ich lesen konnte, habe ich alle Rezepte ausprobiert“, häufig gemeinsam mit dem drei Jahre älteren Bruder. Ihre Mutter hat die beiden in der Küche experimentieren lassen. Als sie mit sieben Jahren mitten im Sommer ihren ersten Weihnachtskuchen präsentierte, verstummten erstmals die zuvor eher bissigen Kommentare des familiären Umfelds. „Trotzdem hätte es meine Mutter gerne gesehen, wenn ich Jura studiert hätte“, berichtet Lea Nüsgen entwaffnend lachend.

Im Jahr 2007 entschied sich die Gründerin für eine Berufsausbildung zur Konditorin

 

Lea Nüsgen - Tartes und Törtchen

Die Mutter ist längst stolz auf die Leistungen ihrer Tochter. Die hatte 2007 tatsächlich eine Berufsausbildung zur Konditorin bei Café und Konditorei Wölke in Bielefeld-Sennestadt durchgesetzt, die sie drei Jahre später mit Bestleistungen abschloss.

Es folgen Lehr- und Wanderjahre: Praktika und Auslandsaufenthalte, erste Adressen in Wien und in Schweden, Ausbilderkurs bei der IHK Ostwestfalen zu Bielefeld, Meisterkurse und Prüfungen, seit 2017 auch Dozententätigkeit. Klassische Weiterbildung auf der einen Seite – und immer wieder der Blick über den Tellerrand. Höhepunkt war nach der Meisterprüfung eine dreimonatige Tour durch Mittel- und Westeuropa, um Konditoren und deren regionaltypische Erzeugnisse vor Ort, sowie Landwirtschaft kennenzulernen. Dabei entdeckte sie auch die Ape, die vor allem in Süditalien ein fester Bestandteil des Straßenbildes ist. Die Firma Moll Marzipan finanzierte via Sponsoring die Hälfte der Reisekosten, auf Facebook verfolgten Nüsgens Fans „Fräulein Lea auf süßer Reise.“ Private Radios und RTL klopften an und berichteten.

Die Kundinnen und Kunden sollen sich etwas gönnen wollen

Schon in dieser Zeit war sie sicher, dass die Selbständigkeit die beste Voraussetzung war, um Freude und Motivation durch die Arbeit zu erhalten und Bestätigung zu finden. Fest angestellt arbeiten wollte sie nicht mehr, vielfach unattraktive Arbeitsbedingungen zum Beispiel in den Dessertküchen in der Gastronomie akzeptiert sie nicht. „Dann lieber eine Zeitlang weniger verdienen, dafür aber unabhängig sein und in die eigene Tasche wirtschaften.“

Süßes Catering, Patisserie, Confiserie, Konditorei. Das steht in der Unterzeile von „TARTES und TÖRTCHEN“. Die Kundinnen und Kunden sollen sich etwas gönnen wollen, Freude am Genuss haben – „denn die Produkte sind keine Nahrungs- sondern Genussmittel“. Und eignen sich auch gut zu besonderen Anlässen oder als Geschenk. Wichtig sind ihr handwerkliche Herstellung ohne Zusatzstoffe und künstliche Aromen. Die Rezepte für die Törtchen, kleine Tartes, für Eclairs und Macarons, für Pralinen und Saisonartikel wie Baumkuchen sind geschmacklich ausgereift und unzählige Male erprobt. Die Rohstoffe sind sorgfältig ausgesucht und unterliegen einer ständigen Qualitätskontrolle, Convenience-Produkte setzt sie grundsätzlich nicht ein.

Alle Produkte sind handgemacht!

Konditormeistern Lea Nüsgen bei der Arbeit

Einen Produktionsraum konnte Lea Nüsgen vom Bielefelder Verein Keimzeit an der Bleichstraße mieten. Die per Website vorbestellten Waren können ihre Kundinnen und Kunden auf den Märkten abholen. Nicht nur ihre Produkte, sondern einen kompletten Auftritt von Lea Nüsgen buchen Veranstalter oder Cateringanbieter. Wenn die junge Frau im selbst entworfenen Konditoren-Outfit mit ihrer kultigen Piaggio Ape Classic auf den Hof fährt, ist das Erstaunen groß – der anschließende Genuss ebenso.

Lea Nüsgen hat noch viele Ideen, jetzt aber muss sie erst einmal garantieren, dass das Alltagsgeschäft ans Laufen kommt. Eine freiberufliche Mitarbeiterin ist schon engagiert. Das, was auf den Märkten verkauft wird, muss schließlich vorab hergestellt werden. Der Einkauf ist speziell, die Verpackung, die als erster Eindruck eine große Rolle spielt, hat sie ebenfalls selbst entworfen und herstellen lassen – sie soll Nachhaltigkeit, Bodenständigkeit und die Natürlichkeit von Herstellung und Zutaten signalisieren.

Tanja Siepke aus dem GründerCenter der Sparkasse hat die Gründerin begleitet

Tanja Siepke vom GründerCenter der Sparkasse Bielefeld

Und dann sind da noch die vielen Aufgaben, die eine Selbstständigkeit besonders am Anfang mit sich bringt: Unternehmensplanung, Kalkulationen, Angebote schreiben, Verkaufsgespräche führen, Werbemittel in Auftrag geben, die Website perfektionieren. Gewerbeanmeldung, Eintragung in die Handwerkerrolle oder den Abschluss von Versicherungen hat sie längst hinter sich. „Auch Dank der sehr unterstützenden Hilfe von Sparkasse Bielefeld, von Handwerkskammer Ostwestfalen-Lippe und der WEGE Wirtschaftsentwicklungsgesellschaft Bielefeld bin ich gut vorangekommen.“ Im Gründercenter der Sparkasse Bielefeld wurde sie von Tanja Siepke betreut, die davon überzeugt ist, dass sich die lange, detaillierte Vorbereitung ihrer Kundin auszahlt: „Die Idee mit dem mobilen Verkauf ist schlüssig und ein Alleinstellungsmerkmal hier in Bielefeld. Nach unserer Einschätzung hat Lea Nüsgen die besten Voraussetzungen, um auf Dauer erfolgreich zu sein.“

Die Jungunternehmerin will in den kommenden Jahren beruflich erfüllt leben, die viele Arbeit schreckt sie nicht. Wer ihre Gespräche mit ihren Kunden verfolgt, die sich gerne von der Begeisterung anstecken lassen, der ahnt, dass sie ihr Ziel erreichen kann. „Die meiste Zeit unseres Lebens verbringen wir neben dem Schlaf an unserem Arbeitsplatz. Dann sollte sie mir doch die bestmögliche Freude bieten!“ Und noch eines ist ihr wichtig: „Ich will auch demonstrieren, dass wir Frauen in einem vor wenigen Jahren noch klassischen Männerberuf erfolgreich sind.“ Oft genug musste sie sich dumme Sprüche anhören. „Das ist längst vorbei!“, sagt sie, „meine Sturheit hat sich ausgezahlt. Ich wollte nie etwas anderes machen und bin sehr zufrieden so wie es läuft.“ www.tartesundtoertchen.de