Vor 100 Jahren – das erste Bielefelder Notgeld erscheint

eingestellt von Christoph Kaleschke am 21. Juli 2017 um 06:00 Uhr

Juli 1917: Seit 3 Jahren tobt der Erste Weltkrieg. Millionen sind bereits gestorben. Ein Ende des Mordens ist nicht abzusehen. Deutschland finanziert den Krieg insgeheim über eine massive Verschuldung. Die Folge: Eine Inflation, die immer stärker um sich greift. Gerade Kleingeld ist ständig knapp. In dieser Situation greifen viele Städte zur Selbsthilfe und drucken eigenes Geld. Auch die Stadt Bielefeld. Das Bielefelder Notgeld wird geboren.

 

„Heidi! Hopsasa! Narrenkarneval im Sparbtrieb! Wie sie tanzen, bei Tag und bei Nacht, die unendlichen Nullen. Es ist zum Verzweifeln! Millionen, Milliarden, Billionen und Trillionen! Die Zahlengespenster verfolgen die Kassenbeamten der Stadt-Sparkasse im Traume.“ Als der Sparkassendirektor Paul Hanke 1925 diese Zeilen schrieb, lag die große deutsche Inflation schon ein Jahr hinter ihm und seiner Stadt-Sparkasse Bielefeld. Bis heute kennen viele die Geschichten dieser Inflation, auf deren Höhepunkt sich das Geld rasend schnell entwertete. Auf den Geldscheinen kletterten die Werte in immer absurdere Höhen – aus Hundertern wurden Tausender, Millionen, Milliarden und schließlich Billionen. Und trotzdem war das Geld kaum etwas wert. Lohnzahlungen wurden mit Bollerwagen abgeholt und sofort wieder gegen Ware eingetauscht, denn schon am Mittag war das Geld nur noch die Hälfte wert. Doch auch diese Inflation hatte einmal klein angefangen.

Anleihen zur Finanzierung des Ersten Weltkriegs

Mit intensiver Werbearbeit wurden die Menschen während des Krieges auch in Bielefeld überzeugt, Anleihen zur Kriegsfinanzierung zu zeichnen. Aber obwohl sie viel Geld für den Krieg opferten, reichten die finanziellen Mittel nie zur Finanzierung des Krieges.

Im Jahr 1917 konnten die Menschen erste Auswirkungen spüren, ohne den Zusammenhang zu überblicken oder zu ahnen, was noch folgen würde. Überall war das Kleingeld knapp, auch in Bielefeld. Der Hintergrund: Das Deutsche Reich rief seine Bürger zur Zeichnung von Kriegsanleihen zur Finanzierung des Weltkrieges auf. Doch reichte das damit eingenommene Geld hinten und vorne nicht, um die Kosten eines industriellen Massenkrieges zu decken. Deshalb finanzierte das Reich den Krieg heimlich über die Notenpresse. Außerdem steuerte es die Produktion von Waren immer mehr auf kriegswichtige Produkte um. Waren des täglichen Bedarfs wurden knapp und trotz Preisregulierungen immer teuerer. Die Folge waren inflationäre Tendenzen, die die Menschen zunächst vor allem daran merkten, dass kleine Zahlungsmittel und Münzen immer knapper wurden. Der Handel stöhnte und es kam zu Unruhen in der Bevölkerung.

Städte und Landkreise produzieren eigenes Geld

Da griffen zunächst nur einige, später fast alle Städte und Landkreise, aber auch Unternehmen und Handelskammern eine Idee auf, die schon 1914, kurz nach Kriegsbeginn, entstanden war: Sie produzierten eigenes Geld. Schon 1914 war für kurze Zeit Bargeld knapp geworden, weil die Menschen aus Kriegsfurcht ihr Geld von den Banken abhoben. Einzelne Kommunen sprangen ein und druckten Geld für den lokalen Zahlungsverkehr. Mit Aufkommen der ersten Inflationstendenzen ab etwa Mitte 1916 fand diese Idee immer mehr Nachahmer. So auch in Bielefeld. Im April 1917 informierte die Stadt Bielefeld ihre Aufsichtsbehörde, dass man beabsichtige, „Wertmarken zu 5, 10 und 50 Pfennig auszugeben“, weil sich „im öffentlichen Verkehr ein ausserordentlich starker Mangel an Kleingeld“ bemerkbar gemacht habe.

Notgeld auf Leinen, Samt und Seide

Die Ausführung übertrug man dem Direktor der Stadt-Sparkasse Bielefeld Paul Hanke. Mit Feuereifer machte er sich an die Umsetzung. Er wurde zum Vater des Bielefelder Notgelds. Bis 1924 entwarf und veröffentlichte er zahllose Notgeldausgaben. Berühmt wurde vor allem sein „Stoffgeld“, das ab 1921 erschien – Geld auf Seide, Samt und Leinen.

Ab 1921 erschien das Bielefelder Notgeld auch auf Seide, Samt und Leinen.

 

1917 begann er die Stadtgeldausgaben zunächst jedoch mit drei Münzen: 5-, 10- und 50-Pfennige waren sie wert. Entworfen wurden sie von lokalen Künstlern. Die Prägung erfolgte auf vergleichsweise schlechten Metallsorten, wie Aluminium oder Zink. Höherwertiges Metall war zu diesem Zeitpunkt schon zu knapp und teuer. Dadurch sind viele Münzen heute nur noch schlecht erhalten.

 

Die „Bielefelder Jugend im Kriegshilfsdienst“ wurde auf der 50-Pfennig-Münze dargestellt.

 

Die 10-Pfennig-Münze zeigt die „selbstlose“ Opferung der goldenen Amtskette des Bielefelder Oberbürgermeisters für die Kriegsfinanzierung.

Die Bielefelder nahmen das neue Stadtgeld ohne Probleme an. Als die ersten Münzen um den 21. Juli 1917 herum ausgegeben wurden, fanden sie reißenden Absatz. Das lag sicher auch daran, dass Paul Hanke die Ausgabe der Münzen mit einer intensiven Öffentlichkeitsarbeit angekündigt hatte. Dabei schielte er ganz gezielt auch auf mögliche Sammler des Notgeldes. Die Überlegung: Jede Münze, die nicht wieder bei der Sparkasse eingetauscht wurde, war ein Reingewinn und trug dazu bei, die Kosten der Notgeldausgabe zu decken.

 

Der Arbeit der Frauen in der Bielefelder Rüstungsindustrie war die 5-Pfennig-Münze gewidmet.

Das sollte auch in den kommenden Jahren ein wichtiges Motiv für die immer neuen Notgeldausgaben der Stadt Bielefeld werden. Schon im Herbst 1917 erschien weiteres Stadtgeld, ab jetzt aber als Scheine aus Papier. Darauf zu sehen war die später sehr bekannt gewordene „Bielefelder Rübe“. Aber das ist Stoff für einen weiteren Artikel zum Bielefeler Notgeld…